Es tut uns gut, einen armen Kontinent direkt in unserer Nachbarschaft zu haben – aus verschiedenen Gründen. Ein polemisches Plädoyer, die alten Klischees über Afrika zu überwinden.
1. Wie bringen wir denn sonst unsere Kinder dazu, ihren Teller aufzuessen?
„Iss deinen Teller auf – und denk an die armen Kinder in Afrika.“ So versuchen jeden Tag Millionen deutscher Eltern, ihre Kinder dazu zu bringen, das Gemüse aufzuessen. Wenn Afrika sich eines Tages selbst versorgen sollte, wird das unsere Erziehungsmethoden in Frage stellen. Erinnern Sie sich noch an den Werbeslogan von Brot für die Welt? „Weniger ist leer“, lautete er. Die Werbeplakate zeigten eine leere Schüssel mit ein paar Körnern Reis. Manche Eltern werden versucht sein, auf die alte Drohung zurückzugreifen, dass morgen das Wetter schlecht wird, wenn wir heute nicht unseren Teller aufessen. Doch selbst in diesem Fall scheint dann noch die Sonne über Afrika, oder?
2. Wofür sollen wir denn sonst im Weihnachtsgottesdienst spenden?
Apropos Brot für die Welt: Die traditionelle Spende im Gottesdienst zu Heiligabend für die Armenspeisung in der Dritten Welt ist ein lohnendes Geschäft. Rund 55 Millionen Euro sammelt Brot für die Welt jedes Jahr an Spenden ein. Hinzu kommt von der Bundesregierung mehr als das Doppelte, 122 Millionen Euro, und aus der Kirchensteuer weitere 65 Millionen Euro. In den Empfängerländern stößt die Hilfe aus dem Norden auf Kritik, wie die Ökonomin Dambisa Moyo in ihrem Buch „Dead Aid“ aufzeigte. Die Hilfe wird häufig als bevormundend, neokolonial und ineffizient empfunden. Denn darüber, welche Projekte finanziert werden, entscheiden am Ende die Hilfsorganisationen – und zwar nicht danach, was den Afrikanern am Herzen liegt, sondern danach was in Europa bei den Gebern für Publicity sorgt. Klar, wer spendet, schafft an. „Der Grund für die anhaltende Armut in meinem Land ist die Entwicklungshilfe selbst“, hat der ugandische Journalist Andrew Mwenda einmal geschrieben. Klar, denn aus Mitleid ist längst eine Industrie geworden, meint die niederländische Journalistin Linda Polman.
3. Wo sollen unsere Promis denn sonst Mildtätigkeit zeigen?
David Beckham beim Anstoß auf einem sandigen Fußballfeld im afrikanischen Busch – solche Bilder rühren Millionen Herzen im Wohlstandsnorden. Seine Frau Victoria setzt noch einen drauf und lässt sich von Star-Fotografin Annie Leibovitz ablichten, wie sie für die Mode-Zeitschrift „Vogue“ afrikanische Aids-Kinder auf dem Arm trägt. Auch in Deutschland wählen Promis gerne Afrika als Fotokulisse, um für mildtätige Zwecke Geld zu sammeln. Die Reihe geht von Rockmusikern bis zu TV-Spieleshow-Moderatoren. Sollte Afrika zu Wohlstand kommen, werden sie sich eines Tages wohl mit ungepflegten, deutschen Obdachlosen ablichten lassen müssen anstatt mit lachenden Waisenkindern aus Afrika. Ob das genauso viele bei uns rührt?
4. Wohin sollen wir denn sonst unseren Wohlstandsmüll bringen?
50 Millionen Tonnen Elektroschrott produzieren die Verbraucher Jahr für Jahr auf der Welt. Jeden Tag kommen in den Häfen Westafrikas die Containerschiffe an, beladen mit alten Kühlschränken, Computern, Fernsehern – meist mit hochgiftigen Substanzen belastet. Auch aus Deutschland wird laut Recherchen des Journalisten Mike Anane dieses Zeugs nach Afrika verfrachtet, obwohl die Bundesregierung die Basel-Konvention unterzeichnet hat, die den Export von gefährlichem Abfall verbietet (http://www.3sat.de/page/?source=/scobel/160141/index.html).
5. Wogegen sollen die Pegida-Anhänger denn sonst hetzen, wenn die Flüchtlinge ausbleiben?
„Das Boot ist voll“ – mit diesem Argument wurde vor einigen Jahren gefordert, keine weiteren Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Tatsächlich wird das deutsche Boot ohne die Einwanderer immer leerer. 870.000 Sterbefällen in Deutschland standen 2013 nur 673.000 Lebendgeburten gegenüber. Dies ist ein Geburtendefizit von knapp 200.000. Nur die Netto-Einwanderung von 430.000 Menschen stieg die Bevölkerung in Deutschland noch. Deutschland wird in Zukunft nicht nur die Flüchtlinge, sondern noch viel mehr Einwanderer. Doch viele afrikanische Länder verzeichnen heute schon eine große Rückwanderungsbewegung – von qualifizierten Fachkräften, Akademikern und Ingenieuren, die lieber am Aufschwung in Afrika teilhaben als Zielscheibe ständiger ausländerfeindlicher Bemerkungen und neuerdings Großdemonstrationen zu werden.
DESHALB:
Afrika braucht selbstverständlich Hilfe und Unterstützung. Und viele Hilfsprojekte, oft durch großes Engagement Ehrenamtlicher getragen, sind auch wirklich nützlich.
Doch wir sollten nicht ein Bild von Afrika als der große Hartz-IV-Kontinent zementieren, nur weil es das Spendenaufkommen hochhält.
Afrika verdient wie jeder andere Kontinent auch, kulturelle, politische und wirtschaftliche Beziehungen auf Augenhöhe.
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“
(Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte)
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