Elektroantriebe und digitale Lösungen machen die Welt angeblich sauber. Die Zeche zahlt Afrika. Dort werden unter unsäglichen Bedingungen die Rohstoffe geschürft, die unser Gewissen reinigen sollen.
Das Neckartor in Stuttgart ist das Symbol geworden für die Notwendigkeit einer Kehrtwende im Verkehr. Jahrelang war dieser unscheinbare Platz der Inbegriff für dreckige Luft in Deutschlands Innenstädten, für hohe Feinstaubbelastungen, rausgeblasen von all den Dieselmotoren, die die Kreuzung passieren oder dort im Stau stecken bleiben.
Die Lösung: Elektroautos statt Diesel. Der Strom für die Elektrofahrzeuge kommt emissionsfrei aus der Steckdose, und der Betrieb hält die Luft schön sauber. Freie Fahrt für ein gutes Gewissen. Auch die Digitalwirtschaft soll dazu beitragen, dass Deutschland sauberer wird, dass auf den Straßen weniger Unfälle passieren und dass der Verkehr besser rollt – alles im Dienste der Umwelt, damit unsere Welt rein wird.
Nur: Die Zeche für saubere Luft in Deutschlands Städten zahlt Afrika. Während Elektroantrieb und Internet unseren Norden schöner machen, müssen unzählige Menschen im Süden, manchmal auch Kinder oder Jugendliche, unter häufig unsäglichen Arbeitsbedingungen die Rohstoffe aus der Erde holen, die wir im Norden für Elektromotoren, Computerdisplays oder Handybatterien brauchen.
Elektromotoren, Smartphones, Tablets, Computer – sie alle kommen ohne seltene Metalle und seltene Erden nicht aus. Immer mehr schlucken sie davon. Diese Rohstoffe, die in winzigen Proportionen in unserer Erdkruste versteckt sind, ermöglichen die Miniaturisierung zum Beispiel von Magneten, den Herzstücken aller Elektroantriebe. Ohne das seltene Metall Indium ist keine Dünnschicht-Photovoltaik denkbar. Ohne Germanium können weder Glasfaberkabel hergestellt werden noch Infrarotoptik. Kobalt ist in Computern, Hybridantrieben und Magneten enthalten. Genauso ist die Untergruppe der seltenen Metalle, die seltenen Erden, unentbehrlich geworden. Holmium ist in Supraleitern enthalten, Terbium in Leuchtorganen, Ytterbium in rostfreiem Stahl. Die Liste der Materialien mit meist unaussprechlichen Namen ließe sich noch lange fortsetzen.
Der französische Journalist Guillaume Pitron hat in seinem Buch La guerre des métaux rares. La face cachée de la transition énergétique et numérique diesen Markt eingehend untersucht. Sein Fazit: Indem wir uns von den fossilen Energiequellen befreien wollen, geraten wir in eine neue Abhängigkeit, in die von seltenen Metallen wie Graphit, Kobalt, Indium, den Platinoiden, Tungsten und wie sie allen heißen.
Schlimmer noch: Damit die Menschen in ihren Städten im reichen Norden aufatmen können, lösen sie in Afrika, China und vielen ärmeren Ländern der Erde eine Umweltzerstörung aus, die weit schlimmer ist, als die Ausbeutung der Erde durch die Erdöl-, Kohle- und Erdgasindustrie. Um auch nur ein Kilogramm Vanadium herzustellen, müssen 8,5 Tonnen Gestein zertrümmert werden. Für ein Kilogramm Cerium müssen sogar 16 Tonnen Gestein zerstört werden und im Falle des noch selteneren Lutetiums für ein einziges Kilo sogar 1200 Tonnen Erdreich.
„Unsere Suche nach einem ökologischeren Wachstumsmodell hat zu einer noch intensiveren Ausbeutung der Erdkruste geführt, um den Wirkstoffen, die seltenen Metalle, zu gewinnen mit Umweltfolgen, die noch schlimmer sind als die Folgen der Erdölgewinnung“, schreibt Pitron.
In der Tat, zur Ausbeutung der seltenen Metallen muss nicht nur die Erdkruste in einem bisher nicht gekannten Ausmaß durchwalzt, aufgewühlt, gesprengt und zerstört werden. Die seltenen Metalle müssen aus dem Gestein auch durch Einsatz hochgiftiger Substanzen und der Verschwendung Millionen Liter wertvollen Wasser gelöst werden. Pitron zeichnet penibel genau nach, unterstützt durch viele Recherchen vor Ort, wie die Abwässer dieser Rohstoffindustrie ganze Landstriche unfruchtbar machen und das Leben von Millionen Menschen mit Krebs, Missbildungen und anderen schweren Krankheiten zerstören.
Es muss nicht lange darum herumgeredet werden: Damit wir in unseren Städten tief durchatmen können, werden riesige Landstriche anderswo auf der Welt unwiederbringlich verätzt und zerstört, müssen Millionen Menschen sterben und vorsintflutlichen Bedingungen arbeiten. Wir bürden wieder einmal die Lösung unserer Probleme Millionen anderer Menschen auf – wie zu den alten Zeiten des Kolonialismus.
Die zerstörerischen Folgen im Süden, die der Aufbau einer ökologischen Wirtschaft im Norden mit sich bringt, blenden wir komplett aus. Wir verhalten uns wie jene Urlauber, die peinlich genau darauf achten, dass der Bürgersteig vor ihrer Haustür schön sauber bleibt, und die gleichzeitig in ihren Ferien im Ausland ihren Müll achtlos in die Gegend werfen. Es ist jedenfalls nicht fair, den ärmeren Ländern der Erde die Zeche für unser gutes Öko-Gewissen aufzubürden. Schade, dass es Pitrons Buch noch nicht in deutscher Übersetzung gibt. Es ist ein sorgfältig recherchierter und gut geschriebener Augenöffner.