Von Christian Hiller von Gaertringen
Überholen ohne einzuholen. Die Losung, die sich einst die Führung der mittlerweile untergegangenen DDR für das sozialistische Wirtschaftssystem gegeben hatte, scheint in Europa auch vielen Entwicklungshelfern und Vertretern von Hilfsorganisationen für Afrika zu gefallen. Viele von ihnen hegen die Hoffnung, Afrika möge sich wirtschaftlich entwickeln, ohne einige Missstände aus den wirtschaftlich entwickelten Regionen im Norden zu übernehmen.
Das gilt besonders für das Finanzsystem, das nach einer bis dahin nicht gesehenen Spekulationswelle in den Jahren 2007 und 2008 zusammengebrochen ist und seitdem am Tropf staatlicher Stützung und einer großzügigen Geldpolitik hängt. Die Sorge, mit zunehmender Entwicklung werde der afrikanische Finanzsektor auch die Missstände aus dem Norden übernehmen, hat sich bisher nicht bewahrheitet. Dies zeigt eine Zusammenstellung jüngster Äußerungen verschiedener Experten zu diesem Thema.
Selbst in Nigeria hat sich nach einer heftigen Bankenkrise – die jedoch völlig andere Gründe als die Finanzkrise in der entwickelten Welt hatte – heute ein stabiles Finanzwesen herausgebildet. Auch können die Banken in wohl allen Ländern des Kontinents von einer auskömmlichen Zinsmarge leben. Der Kreditsektor in Afrika lebt relativ komfortabel dank Zinssätzen von 15 bis 30 Prozent, die Banken Kreditnehmern in Rechnung stellen können, sagte der aus der Schweiz stammende und in Afrika sehr aktive Bankier Jean-Claude Bastos de Morais auf dem Berlin Africa Forum, das der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft am 19. November bei der Deutschen Bank in Berlin organisiert hatte.
Auch in Ghana haben sich die Anleihemärkte wieder stabilisiert. Das Land war im Sommer dieses Jahres in eine heftige, aber offenbar doch kurze Schuldenkrise gestürzt. Die Regierung hatte jahrelang allzu künftig vielleicht fließende Einnahmen aus der Ölförderung großzügig schon ausgegeben. Die dadurch entstandene Lücke im Staatshaushalt hatte die Regierung mit internationalen Anleihe-Emissionen geschlossen.
Solche Vorkommnisse mahnen die Investoren offenbar zu Vorsicht. Das ist ein gutes Zeichen für die Beurteilung der wirtschaftlichen Verfassung Afrikas. Wenn ausländische Investoren alle Vorsicht fahren lassen und nur noch hohen Renditen hinterher jagen, ist dies ein untrügliches Zeichen für eine Spekulationsblase.
Afrika biete Investoren eine Alternative zu Investments in den entwickelten Ländern dank eines vorteilhaften Verhältnisses der zu erhoffenden Rendite im Vergleich zu den Risiken, urteilte jüngste die „Financial Times“, das Zentralorgan der Londoner City. Mit rund 2 Milliarden Euro ist die Europäische Investitionsbank in Afrika engagiert, berichtete Jean-Christophe Laloux, Director General und Head of Lending der Europäischen Investitionsbank, kürzlich auf einer Konferenz des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft in Frankfurt.
„In Afrika mangelt es nicht an Kapital, sondern an guten Projekten“, sagte Stefan Liebing, Präsident des Afrika-Vereins, bei dieser Gelegenheit – eine Aussage, die er in ähnlicher Form in der vergangenen Woche auf dem Berlin Africa Forum wiederholte. Laloux teilt diese Ansicht in einem Punkt: „Es liegt jede Menge Geld herum“, sagte er mit Blick auf ausländisches Kapital, das Investitionen in Afrika sucht.
Die Europäische Investitionsbank scheint trotz des allgemeinen Mangels an Projekten gute Investitionsmöglichkeiten zu finden. Die EIB konzentriere sich auf zwei Bereiche, Infrastruktur und den Finanzsektor, sagte Leloux, nannte dann allerdings noch einen dritten, Investitionen in den Klimaschutz. Ein typisches Infrastrukturprojekt sei der Ausbau des Flughafens der Hauptstadt von Liberia, Monrovia. Typischerweise finanziere die EIB solche Projekte über Darlehen, hier allerdings in der gesamten Bandbreite, die der Instrumentenkasten der Banker abdeckt.
Gute Projekte findet offenbar auch immer wieder Edda Schröder, die in Frankfurt vor wenigen Jahren Invest in Visions gegründet hatte, einen Fonds, der in Mikrofinanzinstitute investiert – in Afrika und anderen Entwicklungsregionen der Welt. Das Fondsvolumen liegt mittlerweile bei beachtlichen 80 Millionen Euro, sagte sie jüngst auf einer Diskussionsveranstaltung, die der Konferenzveranstalter Wirtschaftsgipfel bei der Allianz Global Investors in Frankfurt ausrichtete.
Und die ADC African Development Corporation, eine bisher noch in Frankfurter börsennotierte Beteiligungsgesellschaft, hat so erfolgreich in afrikanische Banken investiert, dass der Fonds Atlas Mara die ADC übernommen hat und nun die letzten ausstehenden Aktien auch noch kaufen will, um die Aktien der ADC von der Frankfurter Börse zu nehmen. Initiator von Atlas Mara ist der ehemalige Vorstandsvorsitzende der britischen Großbank Barclays Bob Diamond, der vor rund einem Jahr bei Investoren mehrere Hunderte Millionen Euro für Atlas Mara einsammeln konnte, ohne ein einziges konkretes Investitionsobjekt zu präsentieren.
Den EIB-Experten Laloux treibt weniger der Mangel an Projekten um – im Gegensatz zum Präsidenten des Afrika-Vereins Liebing. Laloux bereiten vielmehr all jene Projekte Sorgen, die zwar für die Entwicklung Afrikas dringend notwendig sind, aber eine zu geringe Rendite versprechen, um private Investoren dafür zu interessieren. Dies gelte besonders für kleinere Projekte, die auf eine Größenordnung von gerade einmal 10 Millionen Euro und weniger kommen.
„Wir müssen Strategien für jede Investitionsgröße entwickeln“, forderte Laloux die Finanzgemeinde in Frankfurt auf – stieß allerdings im Plenum nicht auf, sagen wir, spontane Hurra-Rufe, sondern auf Schweigen. Eine weitere Lücke sieht Laloux in Investitionsgrößen zwischen 10 und 50 Millionen Euro.
Große Chancen für Investoren böten Sektoren wie Immobilien, Finanzdienstleistungen und die IT- und Telekommunikationstechnik, sagte auf der Berliner Konferenz Jean-Claude Bastos de Morais. Die größte Herausforderung für den Kontinent sei die Notwendigkeit, rund 95 Millionen Stellen bis zum Jahr 2020 zu schaffen – angesichts der Tatsache, dass die Jugendlichen rund 60 Prozent aller Arbeitslosen in Afrika stellen.
Bastos de Morais, im Hauptberuf Chef der Investmentfirma Quantum Global Group und Gründer der ersten afrikanischen Investmentbank Banco Kwanza, will den wirtschaftlichen Wandel unterstützen, indem er sich im Verband Africa Innovation Forum engagiert. Auch das hat Afrika nämlich zu bieten: jede Menge hoch motivierte Unternehmer, die bereit sind, mit Mut, Kreativität und Zuversicht innovative Unternehmen zu gründen. Doch die meisten Projekte, die sie entwickeln, kommen eben nicht auf Investitionsgrößen von 20 oder 50 Millionen Euro. Haben sie einfach nur Pech, wenn sie auf Desinteresse bei internationalen Investoren stoßen? Oder gibt es nicht doch einen Ausweg?
© 2014 Christian Hiller von Gaertringen. All rights reserved.
* Der Autor ist Wirtschafts- und Finanzjournalist in Frankfurt. In diesem Beitrag vertritt er ausschließlich persönliche Ansichten.
Weitere Beiträge und Analysen zu Afrika finden sich in seinem neuen Buch:
„Afrika ist das neue Asien. Ein Kontinent im Aufschwung“, erschienen im Verlag Hoffmann & Campe.
http://www.hoffmann-und-campe.de/buch-info/afrika-ist-das-neue-asien-buch-7205/
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