Viele Katastrophen lösen weltweite Wellen an Mitgefühl und Solidarität. Nur Ebola nicht. Woher kommt es, dass die Epidemie, die in Westafrika begann, sich in großer Gleichgültigkeit ausbreitet?
Von Christian Hiller von Gaertringen
Erinnern Sie sich? Im Jahr 2004 löste ein Erdbeben im Indischen Ozean am zweiten Weihnachtsfeiertag einen Tsunami in Thailand und Indonesien aus. Der mörderischen Flutwelle fielen Hunderttausende Menschen zum Opfer, viele Touristen. Eine weltweite Welle an Mitgefühl und Solidarität versuchte die schlimmsten Folgen zu lindern. Viele nahmen spontan Urlaub, um vor Ort zu helfen. Sondersendungen im Fernsehen warben um Hilfe.
Anfang 2010 erschütterte ein ungewohnt schweres Erdbeben die Karibikinsel Haiti. Hunderttausende Menschen starben, noch mehr wurden obdachlos. In Sondersendungen im Fernsehen wie Hope for Haiti Now und dank ständig wiederholter Spendenaufrufe in Funk, Fernsehen und der Presse sammelten die Hilfsorganisationen so viel Geld ein, dass sie es gar nicht ausgeben konnten. Noch Jahre später saßen viele deutsche Organisationen auf dem Geld, das sie gar nicht sinnvoll ausgeben konnten.
Als im Jahr 2011 eine ungewöhnlich heftige Dürre eine Hungersnot im Süden Somalias auslöste, haben die Vereinten Nationen ein riesiges Hilfsprogramm aufgelegt. Hunderttausende Deutsche haben sich daran beteiligt und gespendet – dafür sorgten auch großzügige Spendenaufrufe der großen Hilfsorganisationen in Deutschland. Dies ermöglichte den Aufbau einer Luftbrücke und von Flüchtlingslagern im Osten Kenias.
Im Jahr 2014 ist die Welle der internationalen Hilfsbereitschaft bisher ausgeblieben. Monate sind seit Ausbruch der Epidemie im Westen Afrikas im Februar vergangen. Immer noch ist die Zahl der freiwilligen Helfer vor Ort viel zu gering. Sondersendungen im Fernsehen sind nie gesendet worden. Die großen Hilfsorganisationen haben sich bisher nicht zusammengeschlossen, um gemeinsam die Deutschen im Kampf gegen die Seuche wachzurütteln. Von „Ärzte ohne Grenzen“ abgesehen haben sich nur wenige Organisationen überhaupt im Kampf gegen Ebola engagiert.
Erst am heutigen Montag hat das Deutsche Rote Kreuz auf seiner Internetseite einen Aufruf veröffentlicht und darin angekündigt, seinen Einsatz in Westafrika verstärken zu wollen (http://www.drk.de/news/meldung/8284-drk-verstaerkt-einsatz-in-den-ebola-gebieten-ein-ueberblick.html) . Seltsam: Bis dahin war öffentlich kaum bekannt, dass sich das Rote Kreuz überhaupt nennenswert vor Ort engagiert hatte. Was will es also „verstärken“?
Vor einigen Tagen veröffentlichten deutsche Hilfsorganisationen in großen Tageszeitungen einen Hilferuf für Afrika. Doch darin ging es nicht um ein Wachrütteln, was das Ebolavirus betrifft. Vielmehr wollten die Organisationen Geld sammeln im Kampf gegen Polio. Zugegeben, dies ist wirklich ein wichtiges Anliegen. Denn erstmals in der Geschichte der Menschheit stehen wir kurz davor, Polio ein für allemal auszurotten.
„Kinderleben retten. Deutschland muss Kinderimpfungen finanzieren“, lautete beispielsweise der Titel einer Anzeige, die am 14. Oktober in der FAZ erschien. Unterzeichnet haben den Appell die Organisationen Difam – Gesundheit in der Einen Welt, Kindernothilfe, One, Plan gibt Kindern eine Chance, Save the Children, Stiftung Weltbevölkerung und World Vision. Wie gesagt: Der Kampf gegen Kinderlähmung ist wirklich wichtig. Und jeder, der Fälle dieser tückischen Krankheit in seiner Umgebung weiß, wie wichtig ihre Bekämpfung ist, zumal die Schluckimpfung leicht zu bewerkstelligen ist. Doch warum richten diese Organisationen ihre Bemühungen nicht auch gegen die Bekämpfung des Ebolafiebers?
Warum erhoffen sich die Spendensammler eine größere Resonanz im Kampf gegen Kinderlähmung als im Kampf gegen Ebola? Warum ist Ebola so unpopulär? Warum fällt es so schwer, das Mitgefühl mit den Opfern des heimtückischen Virus zu wecken?
Während im amerikanischen und britischen Fernsehen mehrmals täglich und ausführlich über Ebola berichtet wird, fallen die Informationen über diese Epidemie in deutschen Medien spärlich und zögerlich aus. Manche Medienvertreter hierzulande beklagen sogar, dass in den USA eine Hysterie in Bezug auf Ebola geschürt werde.
Knapp 10.000 Fälle und etwas weniger als 5000 Todesfälle hat die Weltgesundheitsorganisation WHO bisher in Westafrika in Bezug auf das Ebolafieber festgestellt. Damit liegt diese Epidemie, was die Zahl der Opfer betrifft, weit unter denen des Tsunamis von 2004, des Erdbebens in Haiti von 2010 oder der Hungerkrise in Somalia von 2011.
Das kann jedoch nicht der einzige Grund, warum Ebola bei den Hilfsorganisationen so wenig populär ist, warum die großen Fernsehsender keine Gala-Abende für die Opfer organisieren und noch nicht einmal Spendenaufrufe in ihre Nachrichtensendungen einbauen.
Meine Vermutung ist: Ebola bedient zu viele Vorurteile in Bezug auf Afrika. Schon in den ersten Reiseberichten aus dem Kontinent war immer wieder von rätselhaften Infektionen die Rede, an denen viele europäische Reisende gestorben sind. Schon Heinrich Barth, der in den Jahren 1847 bis 1849 eine ersten Afrikareise unternommen hatte und dann wieder von 1849 bis 1855, berichtete von solchen Fällen. Die Berichte finden sich beispielsweise unter http://www.verlagshaus-roemerweg.de/Edition_Erdmann/Heinrich_Barth-Reisen_und_Entdeckungen_in_Nord-_und_Zentralafrika-EAN:9783865398277.html . An dieser Einstellung – Afrika ist nun einmal der Kontinent der geheimnisvollen Krankheiten, mit denen wir lieber nichts zu tun haben wollen – hat sich seitdem wenig geändert.
Das Ebolafieber ist den Spendenorganisationen offenbar nicht traurig genug. Es passt offenbar nicht in die Vermarktungsbemühungen der professionellen Spendensammler. Ebola trifft nicht in erster Linie Kinder. Die Zahlen der Opfer sind nicht beeindruckend genug, und allein über die Bedrohung, die Ebola für Europa bedeuten könnte, lassen sich nicht genügend Spenden sammeln. Das wäre dann nämlich ein Fall für das staatliche Gesundheitswesen in Europa – oder für die Luftfahrtbehörden, die nach einer verbreiteten Ansicht dafür Sorge tragen sollten, dass diese scheußlichen Dinge nicht von Afrika in das hygienisch-sterile Europa getragen werden sollten.
Offensichtlich haben die Ebola-Opfer nicht die richtige Marketingberater oder nicht die angepasste Kommunikationsstrategie, um ausreichend Betroffenheit bei den Spendengebern in Europa auszulösen.
Dabei hatte Deutschlands Außenminister Walter Steinmeier am Montag zu einem Weltgesundheitsgipfel nach Berlin geladen. Dort hatte er „eine bessere internationale Zusammenarbeit bei der Eindämmung der Ebola-Epidemie angemahnt“, berichtete die Tagesschau der ARD online (http://www.tagesschau.de/inland/steinmeier-ebola-101.html ). „Wenn wir nicht handeln, werden die Folgen – auch für uns in Deutschland – unkalkulierbar“, wird er dort aus seiner Eröffnungsrede zitiert.
Auf der Internetseite der Süddeutschen Zeitung (www.sueddeutsche.de) oder auf Spiegel Online (www.spiegel.de) fand sich darüber am Montagabend allerdings kaum eine Notiz. Da waren Geschichten übe einen eskalierenden Ehestreit in der Wesermarsch, bei dem ein Polizist einen Rentner erschoss (http://www.spiegel.de/panorama/justiz/eskalierter-ehestreit-polizist-erschiesst-rentner-a-998279.html ), offenbar schlagzeilenträchtiger… Ebola hat ganz offensichtlich ein Imageproblem in der deutschen Spendensammelwelt.
Der Autor ist Wirtschafts- und Finanzjournalist in Frankfurt. In diesem Beitrag vertritt er ausschließlich persönliche Ansichten.
Weitere Beiträge zu Afrika finden sich in seinem neuen Buch:
„Afrika ist das neue Asien. Ein Kontinent im Aufschwung“, erschienen im Verlag Hoffmann & Campe.
http://www.hoffmann-und-campe.de/buch-info/afrika-ist-das-neue-asien-buch-7205/
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